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Streetart ist heutzutage kaum aus der urbanen Stadtkultur wegzudenken. Wie Streetdance ist auch Graffiti eine der vier Säulen der Hip-Hop Kultur. Die Urform des Graffiti, das Writing, ist allerdings wesentlich älter als Hip-Hop. Genau genommen ist sie so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. So wurde Graffiti schon im alten Ägypten, bei den Maya oder den Wikingern entdeckt und zwar in Form eingeritzter Zeichen im öffentlichen Raum, was als Vorläufer des modernen Taggings verstanden werden kann. Im weiteren Verlauf wurde Graffiti verstärkt für politische Botschaften genutzt, etwa von Mao Zedong, der Widerstandsbewegung Weiße Rose oder den Studentenbewegungen der 60er Jahre.

Aus diesen Scratchings und öffentlichen Botschaften hat sich Ende der 60er-Jahre mehr und mehr die Art von Graffiti entwickelt, wie wir sie heute kennen. In den USA und Europa haben sich dabei zunächst zwei unterschiedliche Styles entwickelt. In den USA war das Style-Writing populär, bei dem die Schrift bzw. das eigene Writer-Pseudonym das Basiselement des Graffiti darstellt. Neben dem künstlerischen Antrieb stand dabei vor allem auch Selbstdarstellung im Mittelpunkt. Um aus der Masse der Writings herauszustechen, galt es schon damals einen innovativen Style, besondere Techniken und künstlerischen Anspruch zu entwickeln. So entstanden komplexe 3D-Styles, riesige Murals, Charaktere oder ganze Szenerien um die Tags hervorzuheben.

Die europäische Sprayer-Szene fokussierten sich dagegen zu Beginn stärker auf Graffiti-Styles, bei denen bildliche Motive im Zentrum der Komposition standen und die sich damit eher dem Streetart als dem Writing zuordnen ließen. Durch die künstlerische Weiterentwicklung beider Styles sind heutzutage die Übergänge fließend und lassen sich oft nicht klar trennen. Mittlerweile ist Graffiti längst ein eigenes ästhetisches Stilmittel geworden und in diversen Städten offiziell als Kunstform anerkannt. Prominente Pieces (Graffiti-Bilder) stehen unter Denkmalschutz, legale Sprühflächen und Hall of Fames werden bewusst zur Stadtgestaltung genutzt, die Zahl der Förderprojekte und kommerziellen Wandgestaltungen steigt stetig. Für viele Jugendliche ist Streetart ein zentrales Ausdrucksmittel der Jugendkultur, des urbanen Lebensgefühls und der kreativen Aneignung des öffentlichen Raumes. Studien haben dabei Erkenntnisse zur Motivation von Sprayern ergeben, die auf den ersten Blick überraschen. Vielen geht es nicht mehr primär um Grenzerfahrung und Fame, sondern um Kreativität, Streben nach Verbesserung, Selbstverwirklichung und die damit verbundenen positiven Emotionen.

Hier setzt auch das pädagogische Potential von Graffiti an. Über Streetart kann Kids und Jugendlichen ein alternativer Zugang zu Kunst eröffnet und ein künstlerisches Ausdrucksmittel an die Hand gegeben werden – besonders denjenigen, die im klassischen Kunstunterricht weniger begabt oder interessiert sind. Denn Graffiti kann man ebenso wie klassische Kunst analysieren oder seine Identität durch seinen eigenen Style ausdrücken. Darüber hinaus geht es aber auch darum, seinen eigenen Lebensraum bewusst wahrzunehmen und kreativ zu gestalten. Präventiv befassen wir uns in den Projekten natürlich auch mit dem Spannungsfeld zwischen Kunstfreiheit und Vandalismus, der bei Streetart im öffentlichen Raum unvermeidbar mitschwingt. Denn letztlich geht es darum, kreativ aber legal Farbe in den Alltag zu bringen.